Eine Rezension zu Florian Schneiders Album
Schangsongs (2021)
von Alva Liv
Der Schweizer «Schangsong-Sänger» Florian Schneider krempelt in seinen Oberbaselbieter Hügeln die Hemdsärmel hoch und wendet sich lächelnd nach Norden.
Warum sollen Deutsche Ohren nicht geniessen dürfen, womit er uns hier die letzten Jahre verwöhnt und betört hat? Deutsch kann er ja schliesslich. Denn der Lyrische Tenor hat auf grossen internationalen Bühnen von Brechts Dreigroschen-Oper, über das Phantom der Oper bis hin zur Rocky Horror Picture-Show fast keine Hauptrolle ausgelassen. In der Regel mit grossem Erfolg. Und zuletzt verzauberte er das Zelt des Schweizer National-Zirkus Knie in der Rolle des Direktors erneut als Musical-Star.
«Seuche und Lockdown» hätten ihn auf die Idee gebracht, seine Baselbieter Mundart-Lieder auf Hochdeutsch zu übersetzen. An der Seite des bekennenden Tom Waits-Fans Schneider, der sich selber an der Gitarre begleitet, spielt stets der Teufelsgeiger Adam Taubitz. Und auf dem neuen Album natürlich auch wiederum Roman Bislin an den Keyboards.
Was gilt es an den Aufnahmen hervorzuheben? Vielleicht, dass Schneider auch rein akustisch berührt. Denn wer ihn live erlebt, erliegt nicht zuletzt immer auch seinem Charme, seinem Flirt mit allem im Raum, was neben seinen Liedern auch noch beseelt ist und lebt; seiner Bühnenpräsenz.
Florian Schneider kann Sehn- und Eifersucht. Und dabei öffnet er seine Seele nicht bloss vergangenen Liebschaften. Unter die Haut geht nicht zuletzt sein Rufen nach der «Mutter», nach Mutters Händen, die nicht mehr sind und die doch einmal seine eigenen waren.
Bärenstark kommt das Lied «Altes, kaltes Haus» daher. Ein biographischer Song. Wessen Geschichte wird da gesungen? Es ist wohl einfach das Lied aller Menschen, die in ihrem Leben schon Brücken hinter sich niedergerissen haben um zu überleben. Gleichwohl keine gnadenlose Abrechnung. Vielmehr ein Mutmacher-Song mit überraschendem Schluss. Der Sänger bietet uns zuletzt das alte, kalte Haus am Rüschelbach an: «Wenn du’s willst, dann schenk ich’s dir». Nette Geste, klar, nettes Angebot. Aber, nach diesem fulminanten, unter die Haut gehenden Chanson? Nein danke.
Und dann gibt es bei Florian Schneider immer wieder auch die leicht grotesken Lieder, die, um es mit dem frühen Konstantin Wecker zu sagen, «sado-poetischen». Nur dass sie bei Florian Schneider natürlich völlig eigen daherkommen. In Form des Liebhabers der «Lili von Waldweid» etwa, der seinen Nebenbuhler ersticht und dafür auf’s «Blutgerüst» kommt, wo er lakonisch und fadengerade konstatiert: «Ich hab sie bloss zu sehr geliebt, die Lili von Waldweid.»
Das morbid groteske Genre bringt Schneider dann, fast zum Schluss des Albums, in «Tschinderassa» zur Meisterschaft. Darin mimt er einen üblen Karussell-Betreiber: «Ich hab’ ein Karussellchen und ein Orchestrion und manchmal für Mamsellchen ist hier schon Endstation». Denn er bringt hin und wieder kurzerhand eines seiner “Mamsellchen” um. Aus ewiger Wut darüber, dass ihm eine Herzensdame mal nicht treu war. Das ist musikalischer Spuk vom Feinsten. Besonders wenn wir erfahren, weshalb der Orchestrion liebende Serienmörder nachts stets ein Licht brennen lässt. Im Dunkeln fürchtet er sich vor all den toten Frauen.
Florian Schneider ist und bleibt eine Entdeckung. Seine klassisch ausgebildete, weiche und doch so kräftige, sichere Stimme schmeichelt sich nicht bloss bei uns ein, nein, sie bestrahlt uns zuweilen wie eine Laterne, nachts am «Rheinweg», zwischen Strichjungen und spätem Fährbetrieb, und zuweilen auch wie die warme Mai-Sonne über dem Baselbieter Belchen, in der der Barde all seine verlorenen Liebschaften einst wiederzusehen hofft.
Gerade eben leuchtet diese Sonne wieder einmal, vom Schweizer Jura her über den Schwarzwald hinaus, weit ins Deutsche Nachbarland hinein.

https://liederlobby.ch/zwischen-eifersucht-blues-und-sado-poesie-eine-rezension/